Ausgestoßene der Woche: „Die Pandemie in den Rohdaten“

Kolja Zydatiss / 03.09.2021 / 06:15 / Foto: Imago / 56 / Seite ausdrucken

Die nüchterne „Erbsenzählerei“ eines Informatikers, der sich einige Corona-Statistiken näher anschaut, erregt großes Interesse und wird schon bald bei YouTube gelöscht. 

Marcel Barz bezeichnet sich selbst als „Erbsenzähler“. Er studierte Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Bundeswehruniversität in München. Nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst studierte der ehemalige Offizier Wirtschaftsinformatik an einer zivilen Uni und gründete ein Unternehmen für Datenanalysen.

Um die Jahreswende 2020/21 herum stritt sich Barz nach eigener Aussage mit einem Freund, der die Bedrohung durch die Corona-Pandemie weniger ernst nahm als er selbst. Er beschloss, dem Freund zu beweisen, dass die Pandemie eine katastrophale Krise für die öffentliche Gesundheit war. Im Laufe seiner intensiven Beschäftigung unter anderem mit Rohdaten des Statistischen Bundesamtes (Destatis), des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) begann Marcel Barz allerdings, seine Sichtweise zu ändern.

Der Wirtschaftsinformatiker kam zu dem Schluss, dass die Sterbefallzahlen von Destatis keine Übersterblichkeit für das Jahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren bis 2012 zeigen, wenn man Faktoren wie Bevölkerungswachstum, demographischer Wandel oder Lebenserwartung mit berücksichtigt und die Rohdaten dementsprechend korrigiert. Eine Gegenprobe mit den Rohdaten aus Schweden überzeugte Barz, dass die im Vergleich zum schwedischen Ansatz sehr restriktiven deutschen Corona-Maßnahmen kaum einen Effekt auf die Sterblichkeit hatten. Die vom RKI präsentierten Daten zu den Corona-Fallzahlen und Covid-Toten sowie der DIVI zur Intensivbettenauslastung hält der Informatiker aus verschiedenen Gründen für nicht valide beziehungsweise unglaubwürdig.

Nach eigener Aussage begann Barz diese Erkenntnisse zunächst im Freundes- und Bekanntenkreis zu präsentieren. Er entwickelte einen Vortrag mit dem Titel „Die Pandemie in den Rohdaten“ der circa eine Stunde und 20 Minuten lang ist und in zwei interessanten Nebensträngen auch auf aus Barz‘ Sicht fragwürdige Interpretationen der dem Impfstoffmarketing zugrundeliegenden Studienergebnisse und das politische Framing des Jugoslawienkriegs und des damit verbundenen Bundeswehreinsatzes Ende der 1990er Jahre eingeht.

Nichts an Barz‘ in äußerst sachlichem Ton gehaltenen und statistisch untermauerten Ausführungen erscheint mir als Fake News, Falschaussage, abstruse Verschwörungstheorie oder „Geschwurbel“. YouTube sieht das offenbar anders. Eine Videoaufzeichnung von Barz‘ Vortrag, die erst am Freitag letzter Woche von ihm hochgeladen wurde und in kurzer Zeit fast 140.000 Views ansammeln konnte, wurde am Dienstag von dem Videoportal gelöscht, wegen angeblicher Verstöße gegen die „Community-Richtlinien“. Offenbar wird mittlerweile jede Kritik am gängigen Corona-Narrativ bei YouTube unterdrückt. Barz selbst bemerkt zu der Löschung: „Alle wertvollen Diskussionen in den Kommentaren sind nun weg. Was soll das? Warum wird hier der Diskurs unterbunden? Ich verstehe es nicht.“

Verschiedene YouTube-Nutzer haben das sehenswerte Video auf ihren eigenen Kanälen neu hochgeladen, zum Beispiel hier und hier. Für den sehr wahrscheinlichen Fall, dass auch diese „Sicherungskopien“ gelöscht werden, hier auch ein Link zu dem Vortrag auf der weniger löschfreudigen Plattform Vimeo.

Kritische TV-Doku auf die Zeit nach der Wahl verschoben

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) hat diese Woche entschieden, die ursprünglich für Mittwoch den 1. September angesetzte Erstausstrahlung der Doku „Sondervorgang MeToo – Protokoll einer Entlassung“ zu verschieben, und zwar auf einen Termin nach den Wahlen zum Deutschen Bundestag und dem Berliner Abgeordnetenhaus (beide 26. September). In der Dokumentation beschäftigt sich der Filmemacher Maurice Philip Remy mit der umstrittenen Entlassung des ehemaligen Leiters der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, die von Verteidigern Knabes etwa als „politische Strafaktion“ oder „inszenierter Enthauptungsschlag“ bewertet wird, von dessen Kritikern als notwendiger Schritt gegen ein „Klima der Angst und des Mobbings“, das Knabe als Direktor zugelassen und befeuert habe, vor allem auf Kosten weiblicher Mitarbeiter.

Der Sender begründet die Neuterminierung wie folgt: „Für den rbb war […] zunächst nicht ersichtlich, dass [Remy] sich vor allem vor der Auftragsvergabe aktiv bei Facebook an der Diskussion beteiligt hat, etwa indem er einen Spendenaufruf für die Gerichtskosten von Knabe geteilt hat. Nachdem uns der Autor dies bestätigt hat, halten wir es für unabdingbar, dass auch dieses Engagement im Film transparent wird. Deshalb verschieben wir die ursprünglich für morgen vorgesehene Ausstrahlung auf den 27. Oktober.“

Die Ausstrahlung eines Beitrags wird wegen einer solchen Lappalie verschoben? Das finde nicht nur ich unglaubwürdig. In einem offenen Brief an die rbb-Intendantin Patricia Schlesinger bemerkt der Journalist Jens Peter Paul treffend:

„Es ist ja eine Dokumentation. Das bedeutet: Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten. Entweder es stimmt, was Remy herausgefunden hat und in dem Film bringt – oder es stimmt nicht. Stimmt es, dann ist es völlig wurscht, was der Autor vorher auf Facebook geteilt oder geschrieben hat. Dann könnte er täglich Hand in Hand mit Knabe Unter den Linden spazieren und verliebt gucken (was er, glücklich verheiratet, nicht tut) – und es stimmte trotzdem immer noch. Bringt Remy aber unzutreffende Darstellungen in seinem Film, wovon allerdings bei seiner Arbeitsweise nicht auszugehen ist, weshalb es Dein Pressesprecher auch nicht einmal andeutet, dann würde auch die größte Distanz Remys zuvor nichts retten: Falsch bliebe falsch.“

Und weiter: „Liebe Patricia, […] sag einfach: Ich habe das zur Chefsache gemacht, den Fall an mich gezogen und entschieden: Keine Termination. Termin bleibt. Ich meine, wie peinlich sähe das denn aus? Da rufen eine Kulturstaatsministerin und ein Kultursenator [gemeint sind Monika Grütters (CDU) und Klaus Lederer (Linke), die bei der Entlassung Knabes federführend waren, K.Z.] aufgeregt bei Dir an, weil sie Angst haben, wenige Tage vor einer für sie beruflich entscheidenden Wahl in einer rbb-Produktion schlecht auszusehen – und dann rotiert der ganze Sender, um einen Vorwand zu finden, die Nummer wenigstens ein bißchen für die beiden zu entschärfen? Ja sind wir hier in Polen oder was?“

(Lesen Sie zum selben Thema auch den Achgut.com-Beitrag von Markus Vahlefeld: Der stinkende Fisch – ein Sondervorgang) https://6457ac6648aff7c18a8170b8b2b2be56.safeframe.googlesyndication.com/safeframe/1-0-38/html/container.html

Demo verboten und dann doch zugelassenDie Corona-Protestpartei dieBasis wollte am 28. und 29. August auf dem weitläufigen Potsdamer Platz in Berlin eine Wahlkampfveranstaltung für 500 Teilnehmer durchführen. Das wurde ihr am 26. August von der Versammlungsbehörde der Polizei Berlin verboten. Zur Begründung hieß es unter anderem, „Querdenken“-Demos ab 2020 in verschiedenen Städten hätten gezeigt, dass Personen der „Querdenker-Szene“ keine Masken tragen würden. Das sei ein erhebliches Gesundheitsrisiko.Die Partei schaltete ihre Anwälte ein und nahm Kontakt zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf, die international als Wahlbeobachter agiert. Daraufhin hob das Verwaltungsgericht Berlin das Verbot der Veranstaltung auf. Begründung: Nicht alle maßnahmenkritischen Versammlungen könnten ohne weiteres als Querdenkerversammlungen gesehen werden. Die Versammlungsbehörde habe keinen konkreten Bezug zur Veranstaltung der Antragstellerin dieBasis aufzeigen können. (Quellen: dieBasis, Frische Sicht)Auch der Kanzlerkandidat der Unionsparteien, Armin Laschet, ist ein Ausgestoßener der Woche. Der CDU-Politiker betrat in seiner Heimatstadt Aachen einen Imbiss, dessen Tür bereits offen stand, wo also für ausreichend Durchlüftung gesorgt war, begrüßte die beiden Mitarbeiter an der Theke mit einem Faustknuff und setzte sich erst dann eine FFP2-Maske auf. Das ganze wurde in einem ARD-Beitrag („Armin Laschet an selbstgewählten Orten seiner Heimat“) dokumentiert. Die Empörung über diese Szene auf Twitter führte überregional zu Berichten in auflagenstarken Medien, zum Beispiel hier bei der Rheinischen Post, der Frankfurter Rundschau, Merkur, dem Berliner Tagesspiegel oder RTL.de.Der Druck auf die Ungeimpften (aka „gefährliche Sozialschädlinge“) nimmt indessen weiter zu. In Hamburg gilt seit dem Wochenende ein „2G-Options-Modell“ demzufolge Einrichtungen wie Restaurants, Clubs, Kinos, Theater und Museen beim Senat anmelden können, dass sie Angebote nur für Geimpfte oder Genesene machen. Abstandsgebote fallen dann in vielen Fällen weg.Ungeimpfte werden „sehr genau beobachtet“Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) will Ungeimpfte „sehr genau“ beobachten und die Freiheiten dieser Gruppe ab dem Winter gezielt einschränken, denn die Ungeimpften nähmen „wichtigen Patienten nach einem Herzinfarkt oder Autounfall im Zweifelsfall einen Platz auf der Intensivstation weg“. Der Amtschef im Sozialministerium Baden-Württemberg, Uwe Lahl (Grüne), kündigte private Kontaktbeschränkungen nur für ungeimpfte Erwachsene an, „wenn 200 bis 250 Intensivbetten belegt sind“. Ab einer Zahl von 300 Covid-Intensivpatienten solle zudem die 2G-Regel gelten, also Ungeimpften der Zutritt zum Restaurant oder in die Kneipe verwehrt werden – anders als in Hamburg verbindlich. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält ein bundesweites 2G-Modell für einen „vernünftigen Weg“.Die FDP wurde diese Woche zwar nicht ausgestoßen, aber im öffentlich-rechtlichen Fernsehen strafversetzt. Das WDR-Wissenschaftsmagazin Quarks sendete eine Auswertung der Klimaprogramme der bereits im Bundestag vertretenen Parteien. Dabei kam heraus, dass die FDP mit ihrem Konzept der CO2-Bepreisung das beste klimapolitische Programm hat. Ein solches „überraschendes“ (O-Ton Moderatorin) Ergebnis darf aber natürlich nicht sein, und so wird noch ein wenig herumgeredet und gerechtfertigt („Aber wir bezweifeln, dass [die FDP] das auch so tun würde […].“) und die FDP wandert auf den vorletzten Platz, vor der AfD. Nachzusehen ist die Strafversetzung hier in diesem Clip.Die studentische Antidiskriminierungsberatung des Referent_innenrats (sic) der Humboldt-Universität Berlin (so heißt dort der AStA) versuchte letzte Woche, sämtliche Weißen auszustoßen. „Weiße Menschen“ sollten von einer Bewerbung absehen, hieß es in einer in den sozialen Medien vielgeteilten (und vielkritisierten) Stellenausschreibung, da die Beratungsarbeit besser gelänge, wenn der Berater „Schwarz“ (sic) oder als „Person of Color“ positioniert sei. Damit könnte der Referent_innenrat mutmaßlich gegen die Rechtslage bezüglich des Verbotes der Diskriminierung in Stellenanzeigen verstoßen haben (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, AGG). Nach einigen Tagen wurde die Formulierung geändert: „Daher möchten wir insbesondere Personen, die rassistische Diskriminierungserfahrungen machen, dazu ermutigen, sich auf die Stelle zu bewerben.“

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