Nord Stream: Noch konnte die Theorie von Seymour Hersh nicht widerlegt werden

Nord Stream: Noch konnte die Theorie von Seymour Hersh nicht widerlegt werden

Ein Foto des dänischen Verteidigungskommandos zeigt das Gasleck an Nord Stream 2 im September 2022.

Ein Foto des dänischen Verteidigungskommandos zeigt das Gasleck an Nord Stream 2 im September 2022. Danish Defence Command/dpa

Nachdem monatelang zum Thema Nord-Stream-Anschlag bemerkenswert wenig zu hören war, sind in den vergangen Wochen gleich zwei konkurrierende Medienberichte aufgetaucht, um die sich mittlerweile ein Dickicht von Spekulationen rankt. Zeit für einen Versuch, den Dschungel zu lichten und die Geschichten auf ihre Plausibilität zu prüfen.

Zuerst erschien am 8. Februar 2023 der Bericht des Investigativreporters und Pulitzer-Preisträgers Seymour Hersh, der unter Berufung auf eine anonyme Quelle behauptete, die US-Regierung sei für die Anschläge verantwortlich, unterstützt von norwegischem Militär.

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Die New York Times, deren Starreporter Hersh einst war, brachte dann am 7. März eine eigene Geschichte, nach der nicht die US-Regierung, sondern eine „pro-ukrainische Gruppe“ die Anschläge durchgeführt haben soll. Die Quellen: auch hier anonym. Die Zeit, in einem Rechercheverbund mit ARD und SWR, veröffentliche parallel zur New York Times eine detailreichere Version, in deren Zentrum ein verdächtiges Segelboot steht und die sich teilweise auf Angaben des Generalbundesanwalts bezieht.

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Beginnen wir mit der Segelboot-Geschichte, an der mittlerweile von Militärexperten und Journalisten zahlreiche Ungereimtheiten festgestellt wurden. Schwedische und deutsche Ermittlungsbehörden hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass nur ein staatlicher Akteur ernsthaft für die Tat in Betracht kommt. Das Boot und die Umstände wollen zu dem logistischen Aufwand einer komplexen militärischen Operation nicht wirklich passen.

Um Hunderte Kilo Sprengstoff unter Wasser zu platzieren, benötigt man Hebevorrichtungen und Ortungsbojen. Mehrere Tauchgänge mit stundenlangen Arbeiten in 80 Metern Tiefe brauchen extrem lange Dekompressionszeiten von bis zu mehreren Tagen; nur eine Dekompressionskammer, die aber nicht auf das Boot passt, hätte diese Zeiten verkürzen können. Der lange Umweg von Polen über Rostock nach Bornholm ergibt kaum Sinn – und vieles mehr.

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Ungewöhnlich viele Spuren

Jenseits dieser logistischen Fragen gibt es auch noch einen anderen kritischen Punkt. Laut Bundesanwaltschaft wurden auf dem Kajütentisch des Segelbootes Spuren eines Explosivstoffes gefunden – das einzige bisher bekannte konkrete Indiz. Warum aber haben die Täter, wenn sie denn in der Lage gewesen seien sollen, eine so anspruchsvolle militärische Operation durchzuführen, nicht einmal das Boot gereinigt?

Holger Stark, Leiter des Ressorts Investigative Recherche bei der Zeit, schrieb dazu: „Offenbar waren die Attentäter unter Druck und hatten nicht ausreichend Zeit, ihre Spuren zu verwischen.“ Der Anschlagsort ist Hunderte Kilometer vom Rostocker Hafen entfernt, wo die Jacht zurückgegeben wurde. Warum sollten die Täter auf dieser langen Reise keine Zeit gehabt haben, ihre Spuren zu verwischen?

Die Untersuchungen der Bundesanwaltschaft fanden außerdem erst im Januar statt, also Monate nach den Anschlägen – Zeit genug, um Spuren zu verwischen oder neue zu legen. Was noch schwerer wiegt: Sprengstofffachleute und Ermittlungsbehörden haben immer wieder darauf hingewiesen, dass für die Zerstörung einer so massiven Struktur aus Beton und Stahl militärischer Unterwassersprengstoff benutzt worden sein muss. Solche Sprengsätze werden nicht am Küchentisch zusammengebaut, sondern sind hochdicht verpackt, sie hinterlassen normalerweise keine Spuren.

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Geht es bei den amerikanischen Berichten um eine Täuschungsoperation?

Tatsächlich öffnet die fragwürdige Geschichte der Sprengstoffspuren Raum für eine ganz andere Interpretation. Könnte es sich um eine absichtlich gelegte falsche Fährte handeln, um von den tatsächlichen Tätern abzulenken? Diese Möglichkeit sieht zum Beispiel Jeremy Scahill, einer der renommiertesten investigativen Journalisten der USA und Mitgründer des Nachrichtenmagazins The Intercept. Scahill, dessen Recherchen zu Geheimoperationen bereits mehrere Untersuchungen des US-Kongresses ausgelöst haben, schreibt über die Sprengstoffspuren: „Dies ist entweder Beweis für totale Unprofessionalität oder eine vorsätzlich gelegte ‚Spur‘, die in der Absicht hinterlassen wurde, zu täuschen.

Wenn es sich um eine Finte handeln sollte, ist die Frage, wer denn eine solche Spur hätte legen können und mit welcher Absicht. Laut New York Times kamen die Hinweise auf die Segelboot-Geschichte von US-Beamten, die sich wiederum auf Geheimdienstquellen stützten. Der Zeitpunkt ist auch nicht unwichtig. Die US-Beamten begannen erst dann, die neue Geschichte zu verbreiten, als der Artikel von Seymour Hersh auf der ganzen Welt Wellen geschlagen hatte, vom deutschen Bundestag bis zum UN-Sicherheitsrat.

Die USA waren unter Druck, zumal auch die Aussagen von Präsident Biden vom Februar 2022, die USA würden den Pipelines ein Ende setzen, rund um den Globus neu bewertet wurden. Scahill schreibt auch, dass die Art, wie die Informationen der New York Times zugespielt wurden, „an andere Bemühungen von anonymen US-Geheimdienstquellen erinnert, ein bestimmtes Narrativ unter dem Deckmantel einer Exklusivmeldung zu lancieren“. In einem Interview fügte er hinzu: „Ich glaube, dass es Elemente innerhalb der US-Geheimdienste gibt, die diese Geschichte verdrehen, (…) entweder um von Hershs Bericht abzulenken oder weil es sich um eine Täuschungsoperation handelt.“

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