Die Trauzeugen-Affäre rund um den Staatssekretär Patrick Graichen war nicht einfach ein Ausrutscher. Mit der Neubesetzung des Chefpostens der Deutschen Energieagentur sollte das letzte kritische Korrektiv grüner Energiepolitik auf Linie gebracht werden. Dahinter scheint Methode zu stecken. (…)
Die Lautstärke des Streits über grünen Filz und den „Graichen-Clan“ im Bundeswirtschaftsministerium lenkt davon ab, dass es sich bei der Neubesetzung des Chefpostens der Deutschen Energieagentur (Dena) nicht einfach nur um einen besonders eklatanten Fall von Ämterpatronage handelte. Mit der Personalie sollten auch Struktur und Ausrichtung der Dena verändert werden. (…)
In einer Energiepolitik, die weitgehend von den Ideen der Nichtregierungsorganisation Agora Energiewende bestimmt ist, war sie zuletzt die einzige regierungsinterne Instanz, die eine eigene, ausdrücklich kritisch-konstruktive Rolle geltend machte.
Der Vorsitz der Dena-Geschäftsführung ist einer der letzten Spitzenposten deutscher Energiepolitik, der noch nicht mit einem Grünen besetzt ist. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Patrick Graichen, Chefplaner der Energiewende und früherer Exekutivdirektor von Agora, gedachte das zu ändern. (…)
👉 Über die Rolle der Deutschen Energieagentur hat WELT AM SONNTAG mit vielen heutigen und früheren Mitarbeitern, Funktionsträgern und Weggefährten gesprochen. Niemand wollte sich namentlich zitieren lassen. Die Aufsichtsräte des bundeseigenen Unternehmens und der noch bis Juni amtierende Vorsitzende der Geschäftsführung, Andreas Kuhlmann, lehnten jede Stellungnahme ab. (…)
Das Unternehmen mit seinen inzwischen fast 500 Mitarbeitern versteht sich als „Kompetenzzentrum für angewandte Energiewende und Klimaschutz“. In großen „Leitstudien“ etwa zum Netzausbau oder zur Klimaneutralität koordiniert die Dena die Zusammenarbeit von oft mehreren Dutzend Instituten, Universitäten, Unternehmen und Behörden. (…)
Vollständig den Zielen der Energiewende verschrieben, wichen die Empfehlungen der Dena in Nuancen (…) immer mal wieder ab von den Politik-Empfehlungen der privaten Konkurrenzveranstaltung Agora Energiewende, deren frühere Mitarbeiter wie Graichen oder sein Vorgänger Rainer Baake inzwischen an vielen zentralen Schalthebeln der Energiepolitik sitzen. (…)
Der erste Schritt erfolgte bereits im März 2022. Der Bund und die KfW schickten sechs neue Mitglieder in den Dena-Aufsichtsrat. Danach stand dort eine überwältigende grüne Stimmenmehrheit. Mindestens vier der sechs Neuen hatten ein Parteibuch von Bündnis 90/Die Grünen, darunter Habecks damaliger Staatssekretär Oliver Krischer, der auch den Vorsitz des Kontrollgremiums übernahm.
Parteifremde Experten mussten gehen. „Es lief wie eine Machtübernahme“, sagt ein Beobachter nahe am Geschehen.
Fachliche Kompetenz kann für den Personalwechsel nicht maßgeblich gewesen sein. (…)
👉 Auch der Austausch der Führung war entschieden, bevor die Trauzeugen-Affäre ans Tageslicht kam. Dass Dena-Chef Kuhlmann weitergemacht hätte, wenn man ihn gefragt hätte, gilt im Dena-Umfeld als gesichert. Üblicherweise wird ein Jahr vor Auslaufen des Vertrages über eine Verlängerung entschieden. (…)
Die Sorge, dass die Dena unter neuer Führung ihre Rolle als kritisch-konstruktives Korrektiv verlieren könnte, treibt Ex-Chef Kuhlmann wohl selbst um. Er mahnt in seiner Abschiedsrede: „Ohne eine eigene Haltung wäre die Dena ein Fähnchen im Wind.“
„Grüne Machtübernahme“ – der Griff nach der Dena lässt tief blicken – WELT
Die Trauzeugen-Affäre rund um den Staatssekretär Patrick Graichen war nicht einfach ein Ausrutscher. Mit der Neubesetzung des Chefpostens der Deutschen Energieagentur sollte das letzte kritische Korrektiv grüner Energiepolitik auf Linie gebracht werden. Dahinter scheint Methode zu stecken.